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Famulaturbericht

Hilfseinsatz in der Mongolei

Meine ehemalige Kollegin von der Universität Marburg Gabriele Schmidt-Corsitto lebt aktuell mit Ihrem Mann in der Mongolei. 2017 erkannte sie den großen Behandlungsbedarf bei dem Nomadenvolk der Rentiermenschen (Tsaarten). Nach Rücksprache mit lokalen Zahnärzten aus der Misheel Kids Foundation meldete sie sich bei mir und so ergab sich die Zusammenarbeit.

Prof. Dr. David Sonntag über seinen Hilfseinsatz

Die Tsaarten sind nur im Winter an einem festen Ort, der am zuverlässigsten über gefrorene Seen und Flüsse mit dem Auto im Winter erreichbar ist. Die Reisezeit stand also schnell fest: der ausklingende Winter, in dem die Temperaturen tagsüber oft nur etwas unter null und nachts sogar unter – 30°C liegen.

Prof. Dr. med. dent. David Sonntag ist Spezialist für Endodontie (DGZ, DGEndo) und ist als internationaler Referent in über 15 Ländern tätig. Er publiziert in nationalen und internationalen Fachzeitschriften auf dem Gebiet der Endodontologie.

Auf und davon…

Nachdem wir die Flüge buchten, kümmerten wir uns um Spenden und Materialien. Beim Check-in mussten wir die 48 kg Gepäck noch einmal neu packen, damit beide Koffer auch gleich schwer waren. Das Gepäck konnte jetzt über Moskau nach Ulaanbataar eingecheckt werden. Spätestens beim Zoll sollte es laut meiner Kollegin komplizierter werden. Wir hatten keinerlei Probleme – Glück gehabt! Vom Flughafen ging es nahezu direkt weiter zum Material-und Gerätecheck in einer kleinen Zahnarztpraxis. Wir gingen alle möglichen Behandlungen und Szenarien durch, schrieben fehlende Medikamente und Materialien auf und organisierten schnell die fehlenden Sachen.

Fahrt in den hohen Norden

Die Autos wurden gepackt und das Team lernte sich erstmals vollständig kennen. Neben den drei lokalen Fahrern waren die Schweizerin Gabriele Schmidt-Corsitto, eine Französin (Fotografin), eine Belgierin (Sponsorin der Fahrzeuge), zwei Mongolinnen (eine Zahnärztin und eine Studentin) und ich dabei.
Mittags ging es endlich los über leicht verschneite Straßen, bei -15 Grad, etwas Wind und strahlendem Sonnenschein.
Die erste Nacht verbrachten wir im Hotel in Morun, da wir sämtliche zahnärztliche Materialien und die Einheiten dort lagern mussten. Andernfalls wären sie über Nacht eingefroren.
An diesem Tag wussten wir noch nicht, dass es die letzte Dusche für die kommende Woche sein würde. Nachdem das Frühstück verzehrt und die Autos wieder gepackt waren, ging es weiter bis zum Khuvsgul See im äußersten Norden der Mongolei. Unendliche Weiten, zahlreiche Viehherden sowie Schnee- und Sandstürme prägten die Fahrt.
Im Camp angekommen, packten wir alles aus und in Ofennähe, damit nichts einfriert. Uns stand eine Blockhütte zur Verfügung, die fast genug Betten für alle hatte. In dieser Nacht trennte mich nur eine Lage Bretter sowie meine Isomatte vom Permafrostboden der Tundra. Einmal erlosch der Ofen fast und es kostete mich viel Zeit diesen wieder anzufeuern. Damit war ich für diese und kommende Nächte gewarnt.

 

Bei Sonnenaufgang standen wir auf und waren gespannt was uns bei der 80 km langen Fahrt über den gefrorenen See erwarten würde. Ohne lokalen Guide ist es nicht gestattet, den See zu überfahren, da die Eisdicke stark variiert und Gefahr von Eisbruch besteht. Es sind circa 50 Fahrzeuge auf dem Grund des Sees bekannt. Bei unserer Rückkehr erfuhren wir, dass ein PKW an diesem Tag in unmittelbarer Nähe eingebrochen und der Fahrer ertrunken war. Ein Glück also, dass die Überquerung des Sees für uns reibungslos ablief. Doch auch außerhalb warteten Überraschungen. Wir überfuhren lokale Pfade und Überquerungen, die einen deutschen Forstweg wie eine Autobahn erscheinen ließen.

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Kaum zu glauben:

„Die Heizung werden in Morun – wie auch an vielen anderen Orten in der Mongolei und Russland – am 15. September angestellt und am 15. April des Folge­jahres wieder ausgestellt. Die Innentemperatur eines Raums hängt außerhalb dieses Zeitraums vom Isola­tionsgrad eines Hauses und der Außentemperatur ab. Die Zimmertemperatur lässt sich somit nur über das Öffnen der Fenster regulieren – sofern funktionsfähig und vorhanden.“

Prof. Dr. Sonntag
Zahnarzt und Spezialist für Endodontie (DGZ, DG Endo)

Bei den Rentiermenschen

Bei Ankunft wurden wir, wenn auch nicht besonders herzlich, in Empfang genommen. Die Einheimischen verdeutlichten uns, dass wir nur zwei Tage benötigen, um alle dentalen Probleme zu lösen.

Anschließend können wir abreisen. Eine Gruppe von koreanischen Zahnärzten sei vor wenigen Wochen dort gewesen, die schon mehr als 200 Zähne (bei ca. 100 Personen) gezogen hatten. Statt der zugesagten Blockhütte, sollten wir die Behandlung zudem in unserer Jurte durchführen.
Wir haben diese und die folgenden Nächte in einer Reihe auf dünnen Fichtenstämmen auf einem Teppich geschlafen. Diese schützten uns vor dem mit Gras bedeckten, frostigen Boden. Am Morgen beschlossen wir, trotz aller Widrigkeiten die Behandlungen zu beginnen. Wir packten alle Schlafsachen in die Autos, frühstückten gemeinsam und bauten den Behandlungsstuhl und die Einheiten auf unserem Nachtlager auf.


Der erste Patient ließ nicht lange auf sich warten: Eine Entfernung von Wurzelresten. Wir haben in drei Tagen nicht einen Patienten behandelt, der eine Füllung hatte. Entweder störten einzelne Wurzelreste, oder der Schmerz dominierte so stark, dass eine Extraktion gewünscht wurde. Der Zerstörungsgrad eines Zahns spielte bei den Wünschen keine Rolle und Füllungen schienen auch unbekannt zu sein. Nur wenige Patienten haben sich für die Behandlung bedankt, unabhängig von einer zahnerhaltenden Wurzelkanalbehandlung, einer Füllung oder einer Extraktion.

Eine Ärztin aus dem zwei Autostunden entfernten Ort hatte von uns gehört und machte sich auf den Weg zu uns. Da es auch in ihrem Ort mit 1950 Einwohnern keinen Zahnarzt gab, bat sie uns, im örtlichen Krankenhaus tätig zu werden. Trotz langer Planung und Abstimmung lehnten die Tsaarten die Notwendigkeit der Zahnbehandlung ab. Deshalb brachen wir nach nur drei statt sieben Tagen zu dem Krankenhaus auf.

Im Krankenhaus von Tsaganur

Hier sah die Welt schon ganz anders aus. Wir hatten nicht nur ein Haus mit zwei Räumen, einem Ofen und fast genug Betten für alle, sondern auch Büros und Untersuchungszimmer. Bevor wir mit der Behandlung beginnen konnten, gab es eine Liste mit mehr als 40 Patienten, die behandelt werden wollten. Am Folgetag kündigten sich 36 Patienten an. Der nächste Zahnarzt arbeitet eine Tagesreise mit dem Auto entfernt. Ein Bus fährt alle 3 Tage sofern 15 Personen zusammen kommen.
Wir haben in zwei Zimmern behandelt: In einem wurde nur extrahiert und in dem anderen Zimmer wurden zahnerhaltende Maßnahmen durchgeführt. Die Patienten drängten immer wieder in das Behandlungszimmer und verlangten Füllungen, Wurzelkanalbehandlungen und Extraktionen. Wir hatten eine Türsteherin, die dafür sorgte, dass immer nur ein Patient mit einem Angehörigen ins Zimmer kam.

Die Therapieplanung war insbesondere für die Extraktionen sehr wichtig. So fertigten wir immer wieder Bilder mit dem mobilen Röntgen an, um den Schwierigkeitsgrad abzuschätzen.

Nicht nur wir wurden stark gefordert, sondern auch unsere beiden Einheiten, die zunehmend den Geist aufgaben. Am Ende hatten wir weder eine funktionierende Absaugung, noch ein langsames Winkelstück zur Kariesexcavation. Glücklicherweise packte ich Kariesexcavatoren mit ein.
Als unsere Anästhetika zur Neige gingen, begaben wir uns auf die Rückreise. Diese fiel uns hier sehr schwer. Die Dankbarkeit der Patienten reichte von Worten und Umarmungen bis hin zu leckerem Essen, dass uns geschenkt wurde.

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Gabriele Schmidt-Corsitto ist Schweizerin, lebt mit ihrem Mann in der Mongolei und gründete im Jahr 2014 die Misheel Kids Foundation zur zahnmedizinischen Hilfe sozial benachteiligter Kinder. 

Zur Misheel Kids Foundation

Mein besonderer Dank gilt der Firma VDW und Henry Schein Cares für Ihre großzügige Unterstützung.