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Extraktionen am Fuß des Kilimandscharo

Eine Patientin in Lebensgefahr, improvisierte Behandlungen und zahnmedizinische Schulungen für Nonnen: All das erlebte Laura Dröse bei ihrer Famulatur in Tansania.

Wir begannen unsere Reise am Flughafen Frankfurt. Das Ziel: Arusha, eine Stadt in Tansania, etwa 90 Kilometer südwestlich des Kilimandscharo. Oder genauer, das in der Nähe der Stadt gelegene Hauptquartier des Flying Medical Service (FMS). Die Organisation transportiert Patient:innen, versorgt Naturvölker und betreibt in Arusha neben einer kleinen Praxis auch eine Schule für Menschen mit Behinderung. Ein Fahrer brachte uns dorthin, und der Leiter der Mission, ein amerikanischer Priester und Pilot, nahm uns freundlich in Empfang. Wir waren alle sehr aufgeregt, doch die warmherzige Begrüßung beruhigte uns. Wir nutzten den ersten Tag, um uns mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. Die Leute dort waren interessiert und freundlich, und viele Kinder kamen angelaufen, um uns neugierig anzusehen. Die Straßen waren staubig und trocken. Die Frauen trugen bunte Tücher und waren schwer bepackt mit Lebensmitteln. Viele Männer und Kinder hatten Esel dabei, holten Wasser oder fuhren mit Mopeds umher. Zunächst sortierten wir alle Instrumente und verschafften uns einen Überblick über die vorhandenen Materialien. Einiges hatten wir selbst mitgebracht und von Sponsoren besorgt. Über einen Mangel konnten wir aber nicht klagen: Unsere Vorgänger hatten über Jahre hinweg kofferweise Material zusammengetragen, darunter Extraktionsbesteck, Zangen, Hebel, Naht, Komposit, Minimotoren zur Exkavation, Handexkavatoren, Skalpelle und vieles mehr.

Der Sprung ins kalte Wasser

Am zweiten Tag beim Essen wurde uns mitgeteilt, dass eine Patientin mit einem Abszess und starken Zahnschmerzen eingetroffen sei. Unsere Ansprechpartner:innen vermittelten uns, dass sie außer uns niemand behandeln würde. Einen Arzt könne sie sich nicht leisten. Keiner von uns hatte jemals selbst einen Abszess aufgeschnitten. Wir wussten nur in der Theorie, wie es funktionieren würde – und, dass die Frau in Lebensgefahr war.

Vor uns saß eine junge Frau, kaum älter als wir. Wir kannten ihre Sprache nicht, aber ein Blick in ihren Mund verriet uns: Sie hatte eine Schwellung und einen tief zerstörten Backenzahn im rechten Oberkiefer. Ich nahm all meinen Mut zusammen, rief mir in Erinnerung, dass meine Hilfe immer noch besser sei als keine, und setze die Anästhesie. Kurz danach führten wir den ersten Schnitt durch. Der Pus trat aus, die Frau begann zu schreien, zu schwitzen und ihr wurde schwarz vor Augen. Ein Arzt aus der Station kam und legte ihr eine Infusion.

Wir extrahierten den Zahn zunächst nicht. Die Frau wurde sehr wütend. Sie bekam ein Antibiotikum und wir baten sie, noch einmal wiederzukommen. Einige Tage später kam sie zurück. Wir waren froh zu sehen, dass es ihr besser ging. Sie war nicht mehr wütend auf uns, sondern sehr dankbar. Wir zogen den zerstörten Zahn, und einige Tage später besuchte sie uns erneut, um uns zu segnen. Dennoch verblieb in mir ein Gefühl der Nutzlosigkeit unserer Arbeit dort. Denn auch wenn der Frau geholfen werden konnte, so fehlte es dort grundsätzlich an medizinischer Versorgung für jeden.

Vier Stunden zu Fuß

Als wir tatsächlich mit der Arbeit begannen, bauten wir uns ein „Patientenzimmer“ in der

Schule auf, die zum FMS gehörte. Wir stellten drei große Tische im Raum auf. In der Mitte lagen unsere Utensilien. Auf den Tischen an den Seiten legten wir Decken und Kissen aus. Es sprach sich schnell herum, dass wir Zahnärzt:innen aus Deutschland waren und kostenlose Behandlungen anboten. Sobald es hell wurde, kamen jeden Tag die ersten Patient:innen.

 

Wie viele Patient:innen täglich kamen, hing vom Wetter ab: Wenn es kalt war, blieben die Massai lieber zuhause. Das leuchtete uns ein, denn die Menschen gingen teilweise zwei bis vier Stunden zu Fuß, um zu uns zu kommen. Der Zustand der Zähne dort war desaströs. Das stark fluoridhaltige Wasser sorgte für Fluorosen, die Zähne waren sehr geschwächt und durch mangelnde Hygiene oft tief zerstört. Wir extrahierten und extrahierten.

Zwischen Zahnputzunterricht und Extraktionen

Neben den Behandlungen besuchten wir auch drei Schulen in der Nähe. Wir verschenkten Zahnbürsten und zeigten den Kindern an Modellen, wie sie sich die Zähne putzen sollten. Manche von ihnen kannten keine Zahnbürsten oder hatten Angst vor uns. Andere waren glücklich, freuten sich über ihre neuen Zahnbürsten und wollten uns an den Modellen zeigen, dass sie unsere Anweisungen verstanden hatten.

 

Die Piloten des FMS flogen regelmäßig mit einer kleinen Propellermaschine mehrere Stationen im Umland an. Bei jedem Flug war jemand von uns mit an Bord, zusammen mit dem Supervisor. Ich erinnere mich nicht mehr an die Namen der Orte, aber sie lagen alle in der Nähe des Natronsees. Als wir landeten, warteten die Massai bereits auf uns. Darunter viele Schwangere, Babys und Kleinkinder.

 

Der FMS verteilte Medikamente, führte Blutdruckmessungen durch, tastete Schwangeren den Bauch ab und impfte Kinder. Wir führten Extraktionen durch. Mich faszinierte, wie diese Menschen mit Schmerzen umgingen. Die Zähne waren meist bereits stark entzündet und eine Anästhesie daher kaum möglich. Die Massai verzogen dennoch keine Miene und vertieften sich während der Behandlung in Gebete.

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Flying Medical Service

Die rein gemeinnützige, ehrenamtlich tätige Organisation aus Tansania bietet neben der regelmäßigen Gesundheitsfürsorge auch Dienste zur Gesundheitserziehung und Lufttransporte für medizinische Notfälle an. Mehr über den Flying Medical Service erfahrt ihr unter flyingmedicalservice.org.

 

Kloster-Krankenhaus in Sanya Ju

Im Anschluss an unsere Zeit beim FMS reisten wir nach Sanya Ju, um dort in der zahnärztlichen Station eines Krankenhauses zu arbeiten. Es wurde von einem Kloster geführt, in dem jeder von uns ein eigenes Zimmer hatte. Die Nonnen waren sehr dankbar für unseren Besuch. Sie zeigten uns stolz ihre Arbeit auf dem Feld, in den Schulen oder im Krankenhaus und führten uns durch die nahegelegene Stadt Moshi.

 

Ein Zahnarzt hatte dem Klinikum nach seinem Ruhestand die in die Jahre gekommenen, zahnärztlichen Behandlungseinheiten gespendet. Sogar ein Röntgengerät war vorhanden. So konnten dort deutlich mehr Behandlungen angeboten werden, wie Füllungen oder Wurzelkanalbehandlungen und nicht nur die rudimentären, chirurgischen Behandlungen, die wir beim FMS durchgeführt hatten.

 

Die Zahnärztinnen dort waren Nonnen, die über eine dreijährige Ausbildung verfügten. Sie betonten sehr oft, wie froh sie über die Gelegenheit seien, etwas von uns zu lernen. Zum ersten Mal in meiner Zeit in Tansania hatte ich dort das Gefühl, tatsächlich etwas bewirken zu können. Wir zeigten den Nonnen Matritzensysteme und erklärten, wie man einen Kofferdam anlegt und was sie über Caries profunda wissen sollten. Die Arbeit dort war eine wirklich schöne und sinnvolle Erfahrung für mich.

 

Nach dem Ende unserer Famulatur verbrachten wir noch ein paar Tage auf Sansibar. Tansania ist ein sehr spannendes Land, in dem man viel erleben, sehen und Neues kennenlernen kann. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung und weiß seit dem umso mehr zu schätzen, dass wir in einem Land leben, in dem medizinische Versorgung für jeden zugänglich ist.

HSC - Henry Schein Cares

Laura Dröse wurde bei ihrer Auslandsfamulatur von Henry Schein Cares in Form einer Sachspende unterstützt.

 

Mehr Infos findest du hier: www.henryschein-dental.de/hs-cares