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Kinderzahnmedizin für Einsteiger:innen

Immer häufiger gibt es Stellenausschreibungen für Kinderzahnärzte (m/w/d). Aber wie wird man eine:r? Wie geht man mit Kindern als Patient:innen um? Und was ist so attraktiv an der Spezialisierung? Dr. Consuela Codrin schafft Klarheit.

Welche Fortbildungen sind zum Einstieg empfehlenswert?

An den heimischen Universitäten wird entweder sehr ausführlich oder nur rudimentär über die Kinderzahnmedizin gelehrt. Somit ist das kinderzahnmedizinische Wissen sehr inhomogen. Eine Facharztausbildung wie in der Kieferorthopädie gibt es nicht. Dafür stehen Interessierten berufsbegleitend entweder ein dreijähriger Masterstudiengang oder ein etwa anderthalbjähriges Curriculum, das sich über zehn Wochenenden deutschlandweit erstreckt, zur Auswahl. Der Masterstudiengang findet auch am Wochenende statt, sodass Beruf und Studium miteinander vereinbar sind. Den Titel Master of Science (M.Sc.) erhält man entweder an der Universität Greifswald, dessen Module auf ganz Deutschland verteilt von teils internationalen Referenten angeboten werden, oder an den Universitäten Gießen und Marburg, die gemeinsam als hessische Kooperation den Masterstudiengang führen. Sowohl der Masterstudiengang als auch das Curriculum werden von der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ) unterstützt. Das Curriculum läuft über die Akademie Praxis und Wissenschaft (APW). Wer die Abschlussprüfung des Curriculums bestanden hat, ist zertifizierte:r Kinder- und Jugendzahnärztin oder Jugendzahnarzt und kann sich in die Suchliste für Kinderzahnärzt:innen der DGKiZ/APW eintragen lassen. Einen besonderen Titel wie beim Masterstudiengang gibt es nicht. 

Dr. Consuela Codrin

kennt sich mit Zähnen aus. Seit 2013 ist sie angestellte Zahnärztin, ihr Schwerpunkt ist die Kinderzahnheilkunde. Außerdem ist sie als dentale Fachjournalistin tätig. Sie liebt quietschbunte Kasacks und die Fotografie.

Worauf müssen Zahnärzt:innen im Umgang mit Kindern achten?

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, die rational und einsichtig handeln. Die Emotion bestimmt, ob und wie lange etwas auf dem Behandlungsstuhl passiert. Ein kleiner ungewollter Schmerz kann schon das Ende der Sitzung und der weiteren Termine bedeuten. Zudem sind Geduld und Aufmerksamkeit auf eine sehr kurze Dauer beschränkt (etwa fünf Minuten pro Lebensjahr), sodass gute Zusammenarbeit sowohl innerhalb des Teams als auch mit der Begleitperson funktionieren muss. Kinder möchten, dass es anders geht – für sie einfacher und angenehmer.

 

Deswegen gibt es oftmals viele Diskussionen und Tränen, bevor überhaupt die Sonde, geschweige denn der Bohrer zum Einsatz kommt. Hierfür muss das zahnärztliche Team ein entsprechendes Konzept und eine Strategie besitzen, um auch schwierige Kinder für sich zu gewinnen. Dies lässt sich weder zwischen Tür und Angel besprechen, noch spontan aus dem Ärmel schütteln. Hierbei gibt der Master oder das Curriculum konkrete Strategien und Konzeptideen an die Hand, die individuell angepasst werden können.

 

Kinder nehmen die Welt anders wahr. Ihre fantasievolle Vorstellungskraft muss sich das Behandlungsteam zunutze machen. Da gibt es dann beispielsweise keinen Rosenbohrer, sondern den Bagger oder keine Füllung, sondern den Kuchenteig. Je kreativer und lustiger, desto besser kann man die Kleinen für sich gewinnen.

 

Neben der klassischen Verhaltensführung geht es bei der kindlichen Sitzung um die verbale und nonverbale Kommunikation. Ein einziges Wort kann die Wende für eine Behandlung bedeuten, egal in welche Richtung. Auch Gestik, Stimmlage, Gesichtsausdruck und Berührungen übertragen sich auf das Kind und wirken sich auf den Verlauf einer Behandlung aus. Wer Ruhe und Empathie ausstrahlt, kann sich eher in die Herzen der Kleinen schmuggeln als gestresstes und launisches Personal. Eine behutsame Behandlung in kleinen Schritten ist das Ziel. Je weniger Reize und je klarer die Anweisungen für das Kind, umso besser klappt die Mitarbeit.

 

Wenn Kinder in die Behandlung miteinbezogen werden, fühlen sie sich als Partner ernst genommen. Sie möchten nicht fremdbestimmt und Überraschungen in der Therapie ausgesetzt werden. Kinder entscheiden zu lassen, ob sie für die Oberflächenanästhesie Melonen- oder Kirschgeschmack wollen, ist psychologisch ein guter Schachzug für eine bessere Mitarbeit. Auch ausgemachte und strukturierte Abzählzeiten können die Compliance des Kindes maßgeblich positiv beeinflussen. Hierbei entscheidet die Zahnärztin oder der Zahnarzt gezielt, wie lang das Zählen „bis drei“ beispielsweise dauert.

 

Auch das Prinzip „Tell – Show – Do“ ist essenziell für die Motivation des Kindes, mitzumachen. Viel reden, viel zeigen und das Wichtigste: es genauso tun wie gesagt und demonstriert. Kinder merken sofort und reagieren sehr empfindlich, wenn sie angelogen werden und auf einmal etwas anderes gemacht wird als vorher gezeigt. „Tell – Show – Do“ ist ein wichtiges Konzept, um das kindliche Vertrauen zu gewinnen und zu bewahren.  

5 Minuten! So lange beträgt die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern pro Lebensjahr.* Daher ist eine gute Zusammenarbeit innerhalb des Praxisteams und mit der Begleitperson besonders wichtig.

Einrichtung und Co. – was ist anders?

Mit Kinderaugen eine Zahnarztpraxis sehen. Das fängt im Eingangsbereich an und endet bei der Belohnung. Die Anmeldung sollte für Kinder ansprechend gestaltet sein. Eine hohe, sterile Wand als Tresen, der die Sicht der Kleinen versperrt, kann schon beim Eintreten Unbehagen auslösen. Eine Lösung kann beispielsweise eine Anmeldung sein, die auf der einen Seite offen oder sehr niedrig mit Treppe konzipiert ist, damit auch die Kleinsten mitschauen und aktiv dem Rezeptionsgeschehen beiwohnen können. Dies beweist Transparenz und gibt Sicherheit, dass nichts Negatives hinter der Mauer passiert. Sehr sinnvoll ist auch ein Anamnesebogen, der speziell auf Kinder zugeschnitten ist. Fragen wie „Wie oft wird täglich Zähne geputzt?“ oder „Wird der Schnuller hergenommen?“ sind aussagekräftiger als „Rauchen Sie?“ oder „Haben Sie Bluthochdruck?“.

 

Der Wartebereich ist oft der magischste und wichtigste Ort in der Zahnarztpraxis. Mindestens zehn Minuten benötigen Kinder, um anzukommen und in Ruhe spielen zu können. Hier ist ein Konzept in der Spaßeinrichtung gefragt. Möchte man lieber konzentrierte und entspannte Kinder aus dem Wartebereich abholen oder lieber solche, die sich gerade maximal ausgetobt haben und nun im Behandlungszimmer runterkommen sollen? Die Antwort darauf bestimmt die Art der Einrichtung – lesen, malen und Lego bauen oder lieber Rutsche, Bällebad und Bildschirm.

 

Der erste Schritt zu einem positiven Zahnarzterlebnis ist das Abholen aus dem Wartezimmer. Dies sollte eine geschulte Zahnmedizinische Fachangestellte oder ein geschulter Zahnmedizinischer Fachangestellter in die Hand nehmen, die oder der versteht, was Kindern hierbei ein gutes Gefühl gibt. Eine namentliche Begrüßung und eine offene, freundliche Haltung sind genauso wichtig wie das gemeinsame Spazieren zum Behandlungszimmer, das von einem warmen Gespräch begleitet werden kann. Die Begleitpersonen sollten abhängig vom Alter des Kindes dabei im Hintergrund stehen, sowohl körperlich als auch kommunikativ.

 

Um den Besuch so gemütlich wie möglich zu gestalten, besitzen Kinderzahnarztpraxen viele Aufklärungsplüschtiere und übergroße Utensilien, wie Zahnbürste und Spiegel. Auch der Fernseher über der Pedoliege mit kindgerechtem Programm ist für die meisten Kinderpraxen Standard. Warme Wandfarben, bunte Einrichtung, ansprechende (Aufklärungs-)Bilder und Wandsticker und oftmals eine kleine Spielecke für die Geschwister werten ein Kinderbehandlungszimmer auf. Hierbei sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Details, wie lustige Motive auf Kasacks des Praxisteams oder Bärchen auf dem Lätzchen oder dem Mundschutz, nehmen Kinder positiv wahr und speichern dies so ab. Viele Eindrücke laufen unterbewusst ab und sind Puzzleteile für den Praxisgesamteindruck des Kindes. 

Ein einziges Wort kann die Wende für eine Behandlung bedeuten, egal in welche Richtung.

Dr. Consuela Codrin

Welche Materialien und Techniken sind für die Behandlung wichtig?

Neben dem ganzen Ambiente ist der Behandlungsmodus mit kindgerechten Materialien und Techniken der entscheidende Punkt, um Kinder abzuholen. Da Milchzähne einen viel dünneren Schmelzmantel und ein größeres Pulpenkavum besitzen, müssen das Therapiekonzept und die Therapieentscheidung anders ausfallen als bei bleibenden Zähnen. Bei der Anästhesie, beispielsweise der Leitungsanästhesie im Unterkiefer, ist für einen Erfolg auf die kindliche Anatomie zu achten.

 

Materialien wie ein Stahlkronen-Kit, resorbierbares Endomaterial und schnell härtender Glasionomerzement zählen zur Grundausstattung. Auch Extraktionszangen für Milchzähne, goldene T-Bänder für die Füllungstherapie und kleinere Sauger für Kinder sollten nicht fehlen. Die Möglichkeit, Behandlungen in Hypnose, mit Lachgas-Sedierung oder in Vollnarkose durchzuführen, können die wenigsten konventionellen Zahnarztpraxen anbieten. Um Patient:innen mit Lachgas sedieren zu dürfen, ist eine zertifizierte Weiterbildung erforderlich. Insofern muss auch hier Geld in die Hand genommen werden. Das Kreieren von hypnose- oder tranceähnlichen Zuständen bedarf ebenso Schulung und Erfahrung wie das Anwenden von Lachgas.

Wie können Zahnärzt:innen Kinder sprachlich erreichen und sie als Patient:innen halten?

Auch Kindersprache muss gelernt sein. Hier geht es um Begriffe wie Glitzerzähne, Munddusche, Zauberlampe und „Zähne gesund machen“. Der Fokus liegt auf einer kindergerechten Aufklärung rund ums Zähneputzen, den Schnuller, die Ernährung, das Vorgehen bei Füllungen, Stahlkronentherapie oder Extraktionen. Alles in einer positiven Sprache, die das Kind versteht und motiviert. Hierfür ist sehr gut geschultes Personal enorm wichtig. Auch die Eltern müssen ins Boot geholt werden, indem ihnen neben der mündlichen Aufklärung auch die Aufklärung am eigenen Kind demonstriert wird, was die tägliche Prophylaxe angeht.

 

Außerdem muss für den Besuch danach ein Konzept stehen, da nur regelmäßige Recall-Sitzungen stabile und gesunde Ergebnisse gewährleisten können. Diese Termine eignen sich nicht nur, um die Kleinen an das zahnärztliche Umfeld zu gewöhnen, sondern auch, um die Prophylaxe zu überwachen und die Eltern weiterhin in ihrer häuslichen Mitarbeit zu bestärken. Das Geschenk beziehungsweise die Art der Belohnung nach erfolgreicher Sitzung prägen sich die meisten Kinder am besten ein. Dies ist ein schönes Ritual, das meistens Grund genug ist, um wiederzukommen. Geschenke sollten jedoch vernünftig eingesetzt werden und im Verhältnis zur Behandlung stehen.

 

Wer sich als Zahnärztin oder als Zahnarzt der Kinder annehmen möchte, muss neben der fachlichen Kenntnis über klassische Prophylaxemaßnahmen und Therapiemethoden kindlicher Karies auch über Grundwissen in Kieferorthopädie und Logopädie verfügen. Ein unphysiologisches Schluckmuster beispielsweise sollte erkannt und darüber kompetent aufgeklärt werden. Auch falls ein Milchzahn frühzeitig gezogen werden muss, sollten Zahnärzt:innen über die Folgen, Therapie und das weitere Prozedere zumindest in Grundzügen Bescheid wissen. So wollen viele Eltern vor dem Besuch der kieferorthopädischen Praxis mit ihrer Zahnärztin oder ihrem Zahnarzt abklären, welche Lückenhalter und welche einfachen kieferorthopädischen Apparaturen je nach Alter zum Einsatz kommen können.

Eine eindeutige Kommunikation zwischen allen Beteiligten sorgt für Klarheit und Sicherheit.

Dr. Consuela Codrin

Worauf ist im Umgang mit den Eltern / Erziehungsberechtigten zu achten?

Eltern sind entweder Fluch oder Segen beim Begleiten ihrer Kleinen. Die adulte Gefühlswelt überträgt sich meist auf das Kind, sodass Nervosität, Angespanntheit oder gar Angst das Kind wahrnimmt und sich im Behandlungszimmer dementsprechend verhält. Die Zahnarztangst ist bei Drei- bis Fünfjährigen am größten. Grund hierfür ist selten ein bereits erlebtes Trauma, sondern sind meist Negativberichte von Eltern und Gleichaltrigen. Somit muss man auch zu den Eltern oder Begleitpersonen geduldig eine vertrauensvolle und wertschätzende Bindung aufbauen. Die Erwachsenen müssen genauso aufgeklärt und eventuell beruhigt werden wie die Kleinen – natürlich in anderem Umfang und altersgerechter Sprache.

 

Bis zum dritten Lebensjahr tun sich Kinder schwer, sich an Fremde in so kurzer Zeit zu gewöhnen und zu kooperieren. Deswegen ist die Beziehung des Praxispersonals zu den Erziehungsberechtigten entscheidend für die Untersuchung und deren Verlauf. Erst im Schulalter sind Kinder die ersten Ansprechpartner, da sie intellektuell und motorisch reif genug sind. Mit dem Kind über das häusliche Zähneputzen und etwaige Schmerzen zu sprechen ist nun allein genauso möglich wie die gute Mitarbeit bei leichten bis mittelschweren Behandlungen. Hierbei halten sich die Eltern im Hintergrund und unterstützen nur bei Bedarf. Eine eindeutige Kommunikation zwischen allen Beteiligten sorgt für Klarheit und Sicherheit. Da die Erziehungsberechtigten die Mundgesundheitsbeauftragten ihrer Kinder zumindest bis zum achten Lebensjahr sind, muss zu ihnen genauso ein gutes Band geknüpft werden wie zu den kleinen Patient:innen.

Wie attraktiv ist die Kinderzahnmedizin monetär?

Die Stellenausschreibungen in diesem Fachgebiet sind in den letzten Jahren exponentiell gestiegen. Kinderzahnärztinnen und Kinderzahnärzte werden überall gesucht – ob in Familienpraxen oder in reinen Kinderzahnarztpraxen. Folglich hat man erkannt, dass den kleinen Patient:innen viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss als in der Vergangenheit. So steigt auch der Marktwert von spezialisierten Kinderzahnärzt:innen, da sie begehrt, aber immer noch rar sind.

 

Auf die Behandlung bezogen hat seit 2019 die Einführung zusätzlicher BEMA-Abrechnungspositionen (FU 1a – c, FU Pr, FLA, FU 2) für die ganz Kleinen die Attraktivität erhöht, mehr Zeit in Aufklärung und Prophylaxe zu stecken. Dennoch sind Zuzahlungen unabdingbar, wenn man allein von der Kinderzahnmedizin leben möchte. Besonderes Augenmerk ist auf Prophylaxe, Desensibilisierung und besondere Maßnahmen, wie Lachgas und Vollnarkose, zu legen. Zum Thema Rentabilität hat jede (Kinder-) Zahnarztpraxis ihre eigene Philosophie und ihr individuelles Konzept. Eltern akzeptieren oftmals leichter Zuzahlungen, wenn Aufklärung und Empathie stimmen. Zudem kommen viele Eltern mit ihrem Kind zu einer Spezialistin oder einem Spezialisten, damit sich ein Erfolgserlebnis bei ihrem Sprössling einstellt. Hierfür bezahlen die Eltern in der Regel gerne. Auch zusätzliche Prophylaxepakete werden gut angenommen, da immer mehr Eltern ein größeres Bewusstsein für Gesundheit und Ästhetik haben. 

Was verdienen Zahnärzt:innen? Weitere Details zu den Gehaltschancen als Zahnärztin oder als Zahnarzt liest du auf unserer Website

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